Wie man ein Dorf repariert.
Das Lindenareal im Herzen von Schwarzenburg wirkt als Leerstelle wie eine offene Wunde. Ein breit abgestütztes Bauprojekt, entwickelt von jungen Architekten, ist die Lösung. Das Projekt wird getragen von der Dorfzentrum Linden AG, der Gemeinde und dem lokalem Gewerbe.
Von Dieter Schell
Der Dorfkern von Schwarzenburg hat seit einem Vierteljahrhundert ein grosses Loch: Hier stand bis 1997 der Gasthof Linde, seit dessen Abbruch werden Autos parkiert. Noch immer wirkt die Leerstelle als offene Wunde. Bereits vor Jahren schickten sich junge Architekten des Ductus Studios an, mit einem Neubauprojekt die Wunde wieder zu schliessen, jetzt stehen die Chancen gut, dass das sorgfältig durchdachte Projekt auch tatsächlich ausgeführt wird.
Am Anfang des Projekts stand nicht wie üblich ein Bauherr mit einem Raumbedürfnis, sondern der Wunsch nach einer Reparatur des zerstörten Siedlungszusammenhangs. Allerdings: «Dorfreparatur» ist wohl noch schwieriger als die seit den 1970erJahren immer wieder diskutierte «Stadtreparatur». Zum einen deshalb, weil es noch kaum gelungene Vorbilder gibt, zum andern, weil dörfliche Siedlungsstrukturen oft als «gewachsen», als «zufällig» gelesen werden und Zufall sich nicht entwerfen lässt.
Obwohl Dorfstrukturen uns oft irrational erscheinen, sind sie es nicht. Bauen war immer so teuer, dass stets wohldurchdacht und überaus rational vorgegangen worden ist. Zu allen Zeiten war mindestens der Bauherr überzeugt, mit seinem Geld das Beste und Intelligenteste zu machen. Historische Dorflogik war allerdings stets anders als Stadtlogik. Während in der historischen Stadt wegen der Stadtmauer von Raumknappheit und genau definiertem Strassen oder Platzraum ausgegangen werden musste, hielt sich die Dorflogik an den Gebäudetypus. Diese regional unterschiedlichen Typen wurden zwar in der Grösse variiert, ansonsten ziemlich rein und nur mit wenigen Anpassungen ans Gelände oder die spezifische Situation von Handwerkern meist ohne Planzeichnungen erstellt.
Weil genug Raum vorhanden war, konnte man die Bruchstellen, die Winkelabweichungen, die Niveausprünge dem Umland überlassen. Dieses oft für einen Garten, eine Sitzecke, einen Baum, einen Hühnerhof, eine Abstellfläche genutzte Umland macht womöglich die vermeintliche Zufälligkeit der Siedlungsstruktur aus und ist für die Dorfatmosphäre von zentraler Bedeutung.
Wer sich nun aber anschickt, Dorfreparatur zu betreiben, stellt sehr schnell fest, dass es aktuell gar keine dörflichen Bautypen mehr gibt. Man könnte mit den alten Typen arbeiten. Während Modernisten entrüstet «Lüge» schreien, merkt auch der Pragmatiker, dass die heutigen Baustoffe, die Vorschriften und auch die Lebensgewohnheiten nur eine sehr oberflächliche Übernahme der historischen Typen erlauben würden, was ästhetisch kaum befriedigen könnte.
Alte Bautypen sind, wenn man sie erhalten kann, wunderbar; wenn man sie nachzubauen versucht, wirkt das Resultat kitschig oder leblos. Das hat nichts mit der Begabung der Entwerfenden zu tun, sondern mit dem Fehlen der nach Walter Benjamin nur dem Original zukommenden Aura.
Die erwähnten jungen Architekten haben also die eigentlich unlösbare Aufgabe auf sich genommen, in Ermangelung eines dörflichen Bautyps einen solchen nicht nur neu zu entwerfen, sondern auch in vierfacher Ausführung so «zufällig» in die Dorflücke zu setzen, dass wieder eine angenehme Dorfatmosphäre in Schwarzenburg einziehen kann. Hoffen wir, dass das gelungene Kunststück demnächst auch wirklich realisiert wird.
Dieter Schnell ist Dozent für Geschichte und Theorie der Architektur an der Berner Fachhochschule. Der vorliegende Artikel wurde im August 2021 publiziert.
Quellenverzeichnis Fotos: Ductus Studio GmbH, Bern / Stockholm